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Bloß weg vom Anderen. Vom Mitmenschen

Wir schreiben, statt zu sprechen. Wir sind im HomeOffice, statt im Büro. Wir nehmen das Auto, statt Bahn oder Bus. Wir posten ins Netz, statt Erlebnisse miteinander im Erleben zu teilen. Wir kommentieren digital, statt von Angesicht zu Angesicht. Wir bestellen online, statt im Geschäft.

Selbst die trendige Sprachnachricht ist lediglich eine Simulation von Dialog. Denn der direkten Antwort weiche ich aus.

Mir kommt der Eindruck, wir fliehen immer mehr voreinander.


Der Mensch ist offenbar nicht nur des Menschen Wolf. Der Mensch ist dem Menschen offenbar unerträglich. Das wäre nachvollziehbar. Denn ein jeder und eine jede von uns, lebt in der ganz eigenen Welt. Wir sind in höchstem Maße individuell. Daher brauchen wir für unser Zusammenleben Regeln. Für die Zusammenarbeit erst Recht. Dabei gibt es grundlegende Regeln menschlicher Systeme, die seit alters her gelten. Hier jedoch im Fokus: der persönliche Kontakt.


Wir Menschen sind Beziehungswesen. Alleine sind wir dem Untergang geweiht. Niemand von uns kann alleine überleben. Auch wer heute in den Wald zieht, überlebt dort nur, weil wir die Raubtiere vor langer Zeit ausgerottet haben. Allerdings, wird dies in Teilen Deutschlands langsam wieder anders. Alleine leben im Wald. Das kann hier und da wieder gefährlich werden.


Wir Menschen sind Beziehungswesen. Doch einerseits waren 2021 rund 22,7 Millionen Deutsche Single. Doch nur ein knappes Fünftel davon war dies nach eigenen Angaben aus Überzeugung. Datingplattformen boomen. Also digitale Wege, um sich selbst beim Kennenlernen aus dem Weg zu gehen. Schon vor dem ersten Treffen wird ausgelotet, wie hoch die Gefahr ist, dass der andere Mensch so sehr anders ist. FunFact: die Evolution mag eventuell genau das. Denn sie versucht, möglichst breite Varianten zu erzeugen, um das Überleben zu sichern. Doch das nur mal stark verkürzt am Rande.


Wir Menschen sind Rudeltiere. Doch das Rudel kam immer regelmäßig zusammen. Wir haben uns am Lagerfeuer versammelt. Später an dem Samstagabend-Shows im analogen Fernsehen. Dort haben wir unsere Bindungen gestärkt. Wir haben uns über Sichtweisen ausgetauscht. Einander zugehört und erzählt. Ich wage zu behaupten, dass schon die frühen Menschen dabei unterschiedlicher Meinung waren. Bestimmt hat damals schnell jemand vor dem Feuer und dem Rad gewarnt. Während andere ganz hin und weg waren. Und manche haben erst Abends gesprochen und morgens alleine und still ihre Beeren gegessen.


Doch wir wussten noch, dass wir einander brauchten. Wir sind uns nicht ausgewichen. Je mehr wir uns jedoch ausweichen, desto mehr schaffen wir Chancen, uns selbst zu überzeugen, dass alle andere irgendwie falsch sind. In den Weiten und Tiefen des Digitalen finde ich heute schnell etwas oder jemanden zur Bestärkung, dass ich richtig und andere falsch sind. Wenn ich jedoch rausgehe, dann bin ich in Konfrontation mit diesem Anderen. Wenn ich das direkte Gespräch suche oder zum Telefonhörer greife, dann bekomme ich direkte und vielleicht unangenehme Resonanz. Dann doch lieber schreiben. Oder eine Sprachnachricht hinterlassen. Wenn ich jedoch ins Büro gehe, muss ich mich arrangieren. Dann doch lieber von zu Hause aus arbeiten. Und mit den Kolleg*innen nur schreiben.


Früher war das besser. Ja, war es! Es gab auch dort schon Einsamkeit. Doch meistens, weil diese Menschen wirklich alleine und einsam waren, weil sie niemanden hatten und kannten. Heute gibt es mehr und mehr Einsamkeit. Im Jahr 2021 gaben 42% der Menschen an, sich einsam zu fühlen. Doch andererseits haben diese Menschen dutzende, hunderte, tausende von Followern. Doch Follower sind eben weg. Fern.


Einsamkeit ist es, wenn uns soziale Kontakte fehlen. Direkte, erlebbare Kontakte. Stimme, Mimik, Gestik die sich uns widmet.


Dem lässt sich leicht entgegenwirken. Mehr sprechen, weniger schreiben. Mehr Großraumbüro, weniger HomeOffice. Mehr einkaufen gehen, weniger Onlineshoppen. Das, was ich dann entwickle, ist noch viel mehr als Geselligkeit: es ist das, was ich Diversitätskompetenz nenne. Das Aushalten meiner so anderen Mitmenschen. Vielleicht ist das ein spannender Vorsatz für 2024.


Auf ein frohes neues Jahr 2024 mit vielen Begegnungen.




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