top of page

Die unvermeidbare Begleitmusik der Vielfalt: der Konflikt

Magst du Konflikte? Wenn ich tippen darf, wird die Antwort wohl Nein sein. Die wenigsten Menschen mögen Konflikte.


Letztens saß ich in einem Raum voll mit Menschen, die sich alle für Diversity engagieren. Angesichts der aktuellen Situation und dem, was viele das Jahr über erlebt hatten, wurde von Beginn an engagiert und intensiv diskutiert. Und plötzlich war er da: der Konflikt. Die Worte wurden lauter, die Aussagen richteten sich gegeneinander und nicht nur ich fühlte mich zunehmend unwohl. Nicht nur das, ich fühlte mich auch persönlich angegriffen.


Obwohl alle Menschen im Raum für Vielfalt eintreten, lagen einige miteinander im Konflikt. Es gab sogar persönliche Angriffe. Wie kann es sein, dass alle diese Profis es nicht besser können?


Mir selbst ist es jedenfalls misslungen. Erst bei der Rückreise im Auto konnte ich meine Emotionen und Gedanken sortieren. Vor allem begann ich, sie zu überprüfen. Dabei stellte ich fest, dass ich nur auf eine einzige Person sauer war. Ich ärgerte mich wirklich nur über einen einzigen Menschen. Nämlich mich selbst. Darüber, dass ich mit einer ganz anderen Erwartung in die Veranstaltung gegangen war. Ich musste mir eingestehen, dass ich eine diffuse Vorstellung davon hatte, wie ich mich dort gerne gefühlt hätte und was also die Menschen hätten tun müssen, damit das klappt. Dabei wurde mir jedoch klar, wie absurd das war.

Als diese gewünschten Verhaltensweisen ausblieben, als also die Menschen einfach anders agierten, als ich das doch in meinem Unterbewusstsein geplant hatte, da haderte ich keineswegs mit den Menschen. Nein. Das war lediglich vordergründig mein erster Eindruck.

Ich haderte in mir mit meinem Wunschbild und der davon abweichenden harten Realität. Was ich als Angriffe empfand, war reine Interpretation, um mein Wunschbild zu bewahren.


Ging es nur mir so? Sicherlich nicht. Denn das ist es, was so viele Konflikte ausmacht. Genau das ist ja ein Kern von Vielfalt. Jede*r von uns nimmt die Welt auf ganz spezielle Weise wahr. Wir sind geprägt durch individuelle Erfahrungen, unsere Lebensläufe und Erziehung. Darauf basierend erstellen wir uns Muster davon, wie etwas sein soll. In wohl fast jeder Beziehung lässt sich das beim Moment des Zusammenziehens beobachten. Tanja hat ihre Art, die Wohnung zu sortieren, aufzuräumen oder eben nicht und wie sie die Küche hinterlässt, wenn sie kocht. Marion eine Andere. Kaum ziehen sie zusammen, treffen beide Vorstellungen aufeinander und es knallt. Die meisten häuslichen Konflikte drehen sich doch darum, wie die „richtige“ Art ist, wie man wohnt.


Hier haben wir meist unseren größten blinden Fleck. Wir sind uns dieser unbewussten Voreingenommenheiten, dieser Muster und Schablonen „wie man etwas tut“ und "wie man sich richtig verhält" selten bewusst. Bis es eben zum Konflikt kommt. Weil wir auf eine Person treffen, die es ganz anders macht.


Auch in vielen Teams und bei Konflikten zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden ist oft das der Kern des Problems. Ich habe eine genaue Vorstellung davon, was ich an Führung brauche oder eben nicht. Doch meine Chefin hat ihre eigene Vorstellung davon, wie sie führen will. Es mag hilfreich sein, am Anfang die jeweiligen Erwartungen zu klären. Doch helfen wird das meist nur kurz. Unsere beiden Routinen werden schon nach kurzer Zeit die Oberhand gewinnen und wir werden aneinander geraten, wenn unsere Schablonen nur weit genug auseinander liegen.


Konflikte dieser Art gehören zum alltäglichen Leben als Mensch unter Menschen. Sie sind dabei jedoch ungemein hilfreich. Wenn wir sie nämlich nutzen, um unsere Gedanken zu überprüfen. Dann können wir daran wachsen, andere Perspektiven kennenlernen und uns weiterentwickeln. Leider ist das eine Fähigkeit, die, befeuert durch Algorithmen des „was ich gerne sehe und höre“, mehr und mehr verlernt wird. Anzuerkennen, dass meine Weltsicht eben nur meine Weltsicht ist.


Mir hat die Veranstaltung gezeigt, dass Diversity auszuhalten eine lange Lern- und Entwicklungsreise ist. Wieder wurde ein blinder Fleck aufgedeckt. Mein Lernerfolg daraus ist, dass ich mir bei der nächsten Veranstaltung von vornherein Zeiten einplane, in denen ich das Erlebte mit meinen inneren Empfindungen abgleiche und meine Erwartungen korrigiere. Übrigens ist die Retrospektive bewusst ein wesentlicher Bestandteil agiler Teams. Denn Teams, die zunehmend selbstorganisiert arbeiten sollen, tun sehr gut daran, dass Miteinander in regelmäßigen Abständen zu beleuchten und die gegenseitigen Perspektiven, Glaubenssätze und Wertegerüste abzugleichen. So wie es auch Führungskräfte mit ihren Mitarbeitenden und Teams untereinander machen sollten.


Schulz von Thun wird das Zitat zugesprochen, dass kein echter Kontakt ohne Konflikt entsteht. Wer auch immer es nun wirklich gesagt hat, ich bin überzeugt, dass es stimmt.


Übrigens, ich mag Konflikte.





6 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Commentaires


bottom of page