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Divers? Klar, wir haben ja Frauen und ein Regenbogenlogo!



Wie einfach ist es doch, die LGBTIQA+ Community als Kunde:innen zu gewinnen. Einfach Regenbogen drauf, fertig. Zum Beispiel auf Kreditkarten, Kleidungsstücke oder Accessoires. Noch einfacher ist es, die Werbeplakate mit einem schönen Regenbogenherz zu verzieren. Doch wem selbst das als Unternehmen noch zu aufwendig und teuer ist, der tauscht einfach sein Logo auf Social Media so aus, dass das neue nun herrlich bunt in den Farben des Regenbogen strahlt.


Initiieren oder Inszenieren?


Tolle Inszenierung. Im Wechsel wird auch mal ein Eisbär ins Logo genommen, man ist ja auch für den Klimaschutz und deren zahlungskräftige Anhängerschaft. Doch sobald der Vorhang fällt, fällt auch die Inszenierung. Denn echte Maßnahmen, um Diversity auch zu leben und Akzeptanz für andere sexuelle und geschlechtliche Identitäten zu schaffen, sind oft Fehlanzeige. Oder eben auch reine Inszenierung. Ein paar Diversity-Trainings, das geht heute auch als Webinar. Fertig.


2021 hat die Boston Consulting Group das Outing-Verhalten am Arbeitsplatz erforscht. 20% der Befragten verschweigen dabei dauerhaft ihre Identität am Arbeitsplatz. Bei der überwältigenden Mehrheit dauert es bis zu einem Jahr, bis sie sich outen. Die Kernaussage ist dabei gleich: LGBTIQA+ überprüfen in diesen ersten 12 Monaten, wie das neue Umfeld wirklich ist. Sie suchen Sicherheit, tasten sich langsam vor und versuchen herauszufinden, inwiefern ihnen Nachteile drohen. Tatsächlich berichten 19% von klar wahrnehmbaren Nachteilen.


Alles in allem vielleicht schon gute Zahlen. Doch mit dieser Umfrage, wie mit allen Statistiken in Bezug auf LGBTIQA+ ist es eben vor allem so: An den Befragungen teilzunehmen ist bereits ein mutiger Schritt. Daher sind alle Zahlen mit sehr großer Vorsicht zu genießen. Der Autor dieser Zeilen hat selbst erlebt, wie wenig LGBTIQA+ Kolleg:innen sich getraut haben, ihre Identität, ihr wahres selbst am Arbeitsplatz zu zeigen oder mehr als nur den engsten Kolleg:innen zu offenbaren. An Umfragen teilnehmen, sich gar exponierter im Unternehmen damit zeigen: Nein.

Das ist ein Kennzeichen, dass sich für unsere Community übrigens durchs ganze Leben zieht. Bei jedem Umzug, im Verein, im Alltag.


Trotz lustiger Regenbogenlogos.


Diversity ist in vielen Unternehmen mittlerweile ein durchaus anerkanntes Thema. Es gibt in den Personalabteilungen sogar Diversity-Manager. Kommt die Vielfalt dadurch voran? Doch. Es tut sich was. Allerdings langsam, sehr langsam und in ständiger Gefahr, dass alle Fortschritte zunichte gemacht werden.


Kurze hoffentlich rhetorische Frage: Wenn sich ein Kreis von Diversity-Manager:innen und Beauftragten trifft, wie hoch ist dann der Anteil von heterosexuellen Männern? Wenig überraschende Antwort: marginal.


Ich selbst habe Konferenzen im Rahmen der Charta der Vielfalt erlebt, bei denen der Männeranteil ausschließlich aus geouteten Homosexuellen bestand. Der heteronormative Mann, vor allem wenn er die 40 überschritten hat, ist in diesem Kontext so selten, wie eine Perle in einer zufällig gefundenen Auster.


Es sind die gleichen Unternehmen und Organisationen, bei denen mir dann begegnet, dass die fast 90%ige männliche Führungsriege mir erzählt, dass sie nun total divers sind, weil ja auch ein paar Frauen in wichtigen Funktionen sind. Frauen sind nun also schon ein Beweis für Diversität. Wie tief aus dem Patriarchendschungel muss man dafür gekommen sein?


Das sagt mir viel mehr darüber, wie ernst es eben Unternehmen mit Diversity ist. Wenn es das Geschäft ankurbelt, dann ist es ok. Doch ansonsten reicht es auch, wenn wir jetzt schon hier und da medienwirksam eine Frau haben.

Fazit:


> Diversity verfehlt wurde, wenn lediglich einige Frauen in Führungspositionen sind.

> Diversity verfehlt wurde, wenn hier und da Regenbogenfarben öffentlichkeitswirksam platziert werden.

> Diversiy verfehlt wurde, wenn mit Barrierefreiheit Fahrstühle und Rollstuhlrampen gemeint sind.


Diversity ist die grundlegende Kompetenz

Denn Diversity ist so viel mehr, als ein netter moralischer Umhang und ein Werbeschild.


Diversity ist die Grundlage für Kreativität, für Entwicklung, für echte Disruption und damit ein klarer Marktvorteil. Ich verstehe dabei Diversity als eine Kompetenz und mitnichten einen Zustand. Es ist die Kompetenz, Menschen in ihrer Gesamtheit auszuhalten, obwohl sie meine Haltung und Glaubenssätze stressen. Mich trotzdem einzulassen, zuzuhören und verstehen zu wollen.


Eine Fähigkeit, die im Geschrei des sozial-medialen Diskurses nötiger wäre, als je.


Denn was passiert allerorten? Wir ziehen unsichtbare Mauern, grenzen ab und aus und lassen soviel an Potential liegen. In dem ich als Mann die Meinung der Frau nicht anerkenne und auf ihre Aussagen und Argumente gar nicht eingehe, weil sie eine Frau ist. In dem ich den Schwulen meide, weil ich gelehrt wurde, dass die nicht ok sind. Oder in dem ich von einer sichtbaren Behinderung darauf schließe, dass dieser Mensch auch sonst nichts wertvolles mitbringt. Alles das sind die Auswirkungen davon, dass wir daran festhalten, dass nur Gleiches gut und wichtig ist. So sitzen dann halt nur 45jährige männliche Heteros am Vorstandstisch und braten sich in ihrem ewig gleichen Gedankengut.


Wer es also ernst meint mit Vielfalt, fängt zuerst im Inneren an. Dazu gehört, dass die oberste Führungsebene belastbar und sichtbar vorausgeht. Vorleben ist wichtiger, als sich durch ein Webinar klicken. Dazu gehört, die Vielzahl an unbewussten Vorurteilen und Glaubenssätzen nach und nach transparenter zu machen und Reflexionen zu fördern.


Diversity ist eine Kompetenz, nach der unser Gehirn keinesfalls automatisch strebt. Sie zu erwerben bedeutet Arbeit, Arbeit, Arbeit. Übrigens auch in die Gegenrichtung. Als schwuler Mann trage ich auch meine Vorurteile gegen ältere weisse Männer mit mir rum. Ich habe sogar welche gegen mich selbst. Dabei trage ich doch nun wirklich viel mit Regenbogen. Reicht das nicht?




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